11. September 1973 – 40 Jahre Putsch in Chile

Vor 40 Jahren, am 11. September 1973 putschte in Chile das Militär unter Führung des Generals Augusto Pinochet gegen die gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende. Der Putsch wurde von der CIA vorbereitet und von den NATO-Staaten unterstützt und begrüßt, die Militärdiktatur konnte erst 1990 überwunden werden. Doch noch heute ist eine erstaunlich große Kontinuität zu den Jahren unter Pinochet auszumachen – unter anderem dagegen richten sich die aktuellen Kämpfe in Chile.

Der Putsch von 1973 bedeutete nicht nur das Ende von drei Jahren sozialistischem Aufbruch in Chile, sondern leitete eine politische und wirtschaftliche Phase ein, die wir seitdem als Neoliberalismus bezeichnen. Die Militärs gaben die Macht nicht nur an die ehemaligen Eliten zurück, sondern sie übertrugen sie auch an junge Ökonomen, die für ihre marktwirtschaftlichen Experimente ideale Voraussetzungen vorfanden: Die Gewerkschaften waren zerschlagen, politische Verbände und Parteien aufgerieben, Universitäten, Schulen, Presse und Medien standen unter militärischer Kontrolle. Die jungen Technokraten waren die Jahre zuvor als zukünftige Elite an der Universität von Chicago (USA) von Milton Friedman ausgebildet worden. Sie wurden als »Chicago-Boys« bekannt und feilten mit der Deregulierung des Kapitalmarktes, des Abbaus von Schutzzöllen oder der Streichung von Subventionen an ersten neoliberalen Konzepten. Die staatliche Grundversorgung von Gesundheit, Bildung, Rente etc wurde zerschlagen und vollständig privatisiert, der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft minimiert. Die soziale Ungleichheit nahm rasant zu, die Mehrheit der Bevölkerung litt nach dem Putsch unter Armut und Ausbeutung.

„Jetzt hat die Armee nicht mehr länger stillgehalten. Drei Jahre Marxismus sind ihr genug.“ Bild-Zeitung am 12.09.1973

1970 war der Sozialist Salvador Allende mit Unterstützung des Linksbündnisses Unidad Popular (Einheit des Volkes) ins Präsidentenamt gewählt worden. Die Linksregierung führte zahlreiche Reformen zugunsten der armen und arbeitenden Bevölkerung Chiles ein: Um die latente Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen gerade in den Elendsvierteln zu bekämpfen, wurde eine kostenlose Versorgung mit Milch und Essen organisiert. Parallel wurde eine breit angelegte Kampagne gegen Analphabetismus gestartet und das Gesundheitssystem erstmals auch armen Menschen zugänglich gemacht.

Begleitet wurden diese Sozialmaßnahmen von einer ökonomischen Umgestaltung. Die wichtigsten Punkte waren die Verstaatlichung der Bodenschätze (vorher zu 80% in US- amerikanischer Hand), die Enteignung von Banken, sowie eine Agrarreform (4,2% der Grundeigentümer verfügten vorher über 80% des Grundbesitzes), die binnen eines Jahres 3,5 Millionen Hektar Land aus dem Eigentum von Großgrundbesitzern in das Eigentum von über 50.000 Bauern überführte.

Ab 1972 intensivierten die UnternehmerInnen ihren Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik – es kam zu Aussperrungen, Betriebsschließungen und Sabotageaktionen. Das Ausland, vor allem die USA und die US-Konzerne, boykottierten Chile: Kredite wurden gesperrt, Entwicklungshilfe gestrichen, Ersatzteillieferungen verweigert und US-Konzerne versuchten sogar, chilenische Kupferlieferungen als Exportware beschlagnahmen zu lassen. Die chilenische Oberschicht beteiligte sich an dieser „unsichtbaren Blockade“ durch Investitionsverweigerung, was den anfänglichen Wirtschaftsaufschwung dämpfte.

Nach einer Welle von faschistischen Anschlägen und Morden an Anhängern Allendes putschte am 11. September 1973 das Militär gegen die verfassungsgemäße Regierung. Zehntausende GewerkschafterInnen, KommunistInnen, SozialistInnen und linke ChristInnen wurden verhaftet und gefoltert. Tausende wurden in Sportstadien zusammengetrieben und ermordet, 3000 ließ die Diktatur verschwinden, hunderttausende wurden zur Flucht ins Exil gezwungen.

„Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“ Franz Josef Strauss, führender CSU-Politiker und späterer Kanzlerkandidat, im Bayernkurier am 22.09.1973

Gleichzeitig wurden die antichilenischen Embargos der USA und der westeuropäischen Länder 58 (einschließlich Westdeutschlands) wieder aufgehoben. Aufbauhilfe floss auch von internationalen Organisationen wie dem IWF oder multinationalen Konzernen. Chile nahm wieder seinen Platz in der kapitalistischen Weltökonomie als Exporteur preiswerter Rohstoffe und Anbieter kostengünstiger menschlicher Arbeitskraft ein. Nur zehn Tage nach dem Putsch erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Anzeige mit dem Titel „Chile: Jetzt investieren!“ Am neoliberalen Konzept Chile orientierten sich kurze Zeit später Thatcher (Großbritannien) 1979 und Reagan (USA) 1981, die dem Neoliberalismus den weltweiten Durchbruch ermöglichten.

„[…] Der so lang erwartete Eingriff der Militärs hat endlich stattgefunden […] Säuberungsaktion ist immer noch im Gange […] Wir sind der Ansicht, dass das Vorgehen der Militärs und der Polizei nicht intelligenter geplant und koordiniert werden konnte, und dass es sich um eine Aktion handelte, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde […] Chile wird in Zukunft ein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein […] Die Regierung Allende hat das Ende gefunden, das sie verdient […]“ Siebenseitiger Brief der chilenischen Tochtergesellschaft an die Zentrale der Farbwerke Hoechst AG in Frankfurt

Erst 1990 wurde die Militärjunta durch eine zivile Regierung abgelöst. Die Diktatur hinterließ eine sozial wie wirtschaftlich polarisierte Gesellschaft, deren soziale Bewegungen traumatisiert und beinahe vollständig zerschlagen wurden. Die Verfassung des Landes wurde seit der Diktatur nur minimal verändert. Privatisierungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich, die Arbeitsgesetze und die Rücknahme der Landreformen sowie das Wahlsystem stammen noch aus Diktaturzeit und sind bis heute fast unangetastet.

Die Privatisierung des Bildungssystems, unter Pinochet eingeführt, bestärkt die soziale Polarisierung und war Anlass für große landesweite Demonstrationen, Streiks, Besetzungen von SchülerInnen und StudentInnen in den letzten Jahren. Diese größten Demonstrationen seit 1973 werden von staatlicher Seite mit massiver Gewalt beantwortet: Tränengasgranaten, Wasserwerfer, Gummigeschosse kommen auf fast jeder Demonstration zum Einsatz, es gibt bereits Tote. Die Bewegung der Studierenden richtet sich zugleich gegen den Neoliberalismus in anderen Bereichen der Gesellschaft und führt einen Kampf für dessen Überwindung.

„Die Proteste waren die Kumulation eines Prozesses kollektiver Mobilisierung mit tiefergehenden Forderungen nach einem strukturellen Wandel. Den Anfang machte zwar die Studierendenbewegung, aber sie schaffte es, Sektoren der gesamten Gesellschaft zu einem landesweiten sozialen Protest zu vereinen, der schließlich die aktuelle Bewegung hervorbrachte.“ Karol Cariola, Aktivistin und Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Chiles (JJCC)

Während der Diktatur waren die Mapuche massiv von Landendeignung und staatlicher Repression betroffen. Pinochet negierte die Existenz indigener Gruppen und sprach ihnen keine Rechte zu, die Mapuche gehörte ebenfalls zu denen von Verfolgung, Folter und Repression betroffener Gruppe. Bis heute sind die Mapuche in Chiles Verfassung nicht anerkannt. Land- und Ressourcenkonflikte im Süden von Chile bestimmen immer noch die sozialen Kämpfe der Menschen. Das noch aus Diktaturzeit stammende Anti-Terror-Gesetz wird heute noch gegen die Mapuche angewandt. Alltägliche Polizeigewalt in den Gemeinden, außerordentliche juristische Härte sowie Ermordung von Gemeindemitglieder sind ganz aktuelle staatliche Repressionen, mit denen sie konfrontiert sind.

Mit der Demonstration vom 11. September 2013 gedenken wir der Opfer des Putsches und der Diktatur in Chile. Wir zeigen unsere Solidarität mit den damaligen AktivistInnen, die Opfer der brutalen Repression wurden, und mit den heutigen AktivistInnen in Chile, die gegen die Folgen der neoliberalen Diktatur, für eine Aufklärung der Verbrechen und die Veränderung der chilenischen Gesellschaft kämpfen.

Wir fordern von der deutschen Regierung eine historische Aufarbeitung der deutschen Beteiligung an den Verbrechen. Wir fordern die sofortige Auslieferung Hartmut Hopps an Chile! Hopp ist ein in Chile verurteilter Verbrecher der Diktatur, der trotz chilenischem Auslieferungsantrag in Krefeld lebt, weil die deutsche Regierung seine Auslieferung verweigert.

Die Abwälzung der Folgen der kapitalistischen Krise auf die Mehrheit der Bevölkerung – hierfür war das Chile der Diktatur ein Forschungslabor – findet weltweit statt, mittlerweile auch in europäischen Ländern, u.a. in Griechenland und Portugal. Unsere Solidarität gehört auch den Menschen dort und überall auf der Welt, die sich gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg auflehnen, die für eine solidarische Welt kämpfen. In diesem Sinne erneuern wir die alte chilenische Parole:
El pueblo unido, jamás será vencido !

Der Aufruf und die Demonstration werden unterstützt von

Alerta! – Lateinamerika Gruppe Düsseldorf
AKAB – Antikapitalistische Aktion Bonn
DIE LINKE, Düsseldorf
DKP – Deutsche Kommunistische Partei, Düsseldorf
Duisburger Netzwerk gegen Rechts
Gruppe Hilarius, Düsseldorf
isl – internationale sozialistische linke, Düsseldorf
Linksjugend [’solid] NRW
Rote Aktion, Köln
see red! Interventionistische Linke Düsseldorf
Sozialistische Jugend Deutschlands / SJD – Die Falken KV Düsseldorf
VVN-BdA – Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der AntifaschistInnen, Düsseldorf

Erstellt am