Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,
die letzten Monate sind zweifellos gekennzeichnet von einer blutigen Eskalation zahlreicher Konflikte. In der Ostukraine tobt ein Bürgerkrieg, in Syrien und im Irak verüben die IS-Milizen grauenhafte Massaker und in Gaza herrscht erst seit einigen Tagen eine brüchige Waffenruhe nach wochenlangen Bombardements. Wir leben in Zeiten der Bürgerkriege und Militärinterventionen und es ist ohne Zweifel richtig immer wieder gegen Krieg und Imperialismus zu demonstrieren.
Aber gleichzeitig drohen wir dabei oft einen wichtigen Teil zu übersehen. Denn wir leben auch in Zeiten der Aufstände.
Seit dem Beginn der Massenproteste Ende 2010 in Tunesien und Ägypten, die sich rasch ausweiteten und bald als Arabischer Frühling bekannt wurden, ist in Nordafrika und im Nahen Osten nichts mehr wie früher. Jahrzehntelang ebenso stabil wie repressiv herrschende Regime wurden binnen kürzester Zeit gestürzt. Dort wo wir jahrelang kaum Bewegungen ausmachen konnten, bewegten sich plötzlich hunderttausende und eroberten die Straßen und Plätze ihrer Städte. Unter dem Slogan „Brot und Würde“ forderten Menschen soziale und politische Rechte.
Auch die Orte, die wir heute als Orte des Krieges kennen waren Orte des Aufstands.
In Palästina veröffentlichte 2011 die Jugend von Gaza ihr Manifest. Sie kritisierten die Bombardierungen und Erschießungen, die Polizei- und Militäreinsätze durch die israelische Armee ebenso wie die alltägliche Kontrolle und Repression durch die Hamas, die Korruption der Fatah und die Gleichgültigkeit der Internationalen Gemeinschaft. Ihr Manifest war ein Aufruf zur Befreiung. Ihr Aufstand ist noch nicht gekommen. Aber während alle auf Gaza blickten, auf Bomben und Raketen und gescheiterte Waffenstillstandsabkommen, ignorierten viele die ersten Anzeichen eines kommenden Aufstands. In der Westbank fanden die größten Massendemonstrationen seit Jahren statt. Zehntausende demonstrierten gegen Krieg und Besatzung und griffen die israelischen Grenz- und Kontrollposten mit Steinen an. Schnell machte das Wort einer neuen dritten Intifada die Runde, eines neuen Aufstands also, ausgehend von den Massendemonstrationen militanter palästinensicher Jugendlicher. Und auch nach der jüngsten Waffenruhe in Gaza, bleiben die sozialen Ursachen eines solchen Aufstands bestehen.
Auch in Palästina gilt: „No Justice – No Peace“. Es wird keinen Frieden geben, ohne ein Ende der Besatzung in der Westbank und der Belagerung Gazas, ohne eine wirkliche Perspektive der Autonomie und Gleichberechtigung für die palästinensische Bevölkerung. Nur so könnte aus einer Waffenruhe mehr werden, als eine Feuerpause. Aus dem Schatten des Konflikts zwischen Israel und Palästina könnte dann der Konflikt zwischen Herrschenden und Unterdrückten auf beiden Seiten der heutigen Grenzen treten.
Währenddessen erleben wir seit einigen Wochen die militärische Offensive der islamistischen IS-Milizen auf das von Jesiden bewohnte Şengal im Nordirak. Tausende flohen vor den Massakern der IS in die Berge. Während sich die Peschmerga-Milizen der bürgerlich-kurdischen Partei KDP zurückzogen, verteidigten bewaffnete Einheiten der west- und nordkurdischen YPG und PKK die jesidische Bevölkerung. In der deutschen Öffentlichkeit ist viel über die große Politik zu hören, über die Bundesregierung und die USA, Militärinterventionen und Waffenlieferungen – und wenig über diesen Widerstand von unten.
Es ist richtig, auch in diesen Tagen auf einer Ablehnung jeder Militärintervention zu beharren. Wir erinnern uns an die westliche Intervention in Libyen, die das Elend und Sterben nur verschärfte. Der Beginn einer Intervention von außen ist immer das endgültige Ende eines Aufstands von unten.
Und dennoch ist unsere klare Ablehnung gegen die Kriege der Herrschenden kein Pazifismus. Rojava, Zufluchtsort für zehntausende Menschen aller Bevölkerungsgruppen aus Syrien und Irak, ist hervorgegangen aus dem bewaffneten Aufstand der kurdischen Guerilla YPG und von ihr wird Rojava und seine Bevölkerung beschützt. Die KämpferInnen der YPG verteidigen die Chance auf eine bessere Welt inmitten einer vom Schrecken des Bürgerkriegs umgebenen Region. Niemals werden wir uns von denen distanzieren, die das tun.
Wir können heute nicht wissen, ob sich die gemeinsamen Hoffnungen von uns und den kurdischen GenossInnen erfüllen werden, ob Rojava ein entscheidender Schritt für die weltweite Befreiung werden oder untergehen wird. Ebensowenig können wir die Zukunft der kommenden Aufstände in der Welt voraussehen. Aber wir kennen die Gegenwart, die alltägliche Ausbeutung und Armut, Unterdrückung und Erniedrigung in den Teilen der Welt, die die Herrschenden „befriedet“ nennen. Und wir kennen den Krieg, das Abschlachten, die Massaker in den sogenannten „Konfliktregionen“ dieser Welt. Wir kennen die Folterungen, die Hinrichtungen und die Inhaftierung der alten Regime, die in Aufständen gestürzt worden sind und auch die der immer noch bestehenden Regime.
Es gibt für uns keine Perspektive außer dem weltweiten Kampf um Freiheit, Würde und Gerechtigkeit, unsere Perspektive ist international und deshalb gibt es in vielen Sprachen ein Wort, das sie ausdrückt, unsere Perspektive heißt: Aufstand – Serhildan – Intifada
Hoch die internationale Solidarität!
Aufstand – Serhildan – Intifada. Rede auf der Demonstration „Stoppt die Kriege! Solidarität mit den Befreiungsbewegungen!‘ am 30.8.14 in Düsseldorf“
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