Rede auf der Demo ‚Frauenmorde in Deutschland, der Türkei und weltweit verhindern!‘ am 6.3.21 in Düsseldorf

Herzlich Willkommen auch von uns.

Wir sind heute hier, um uns zu verteidigen. Wir verteidigen uns, denn wir wollen uns lebend. Hier und überall. Wir sind hier, weil wir den öffentlichen Raum wieder besetzen wollen. Weil wir die Entscheidung über unseren Körper zurück fordern wollen.

Und dafür müssen wir nicht in andere Länder schauen. Patriarchale Gewalt ist kein Problem von vermeintlich fremden Kulturen. Sie bestimmt den Alltag von Frauen in Deutschland jeden Tag. -Denn jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Ex- oder Partner umgebracht. Jeden Tag entkommt einer Frau dem Versuch. Mehr als einmal die Stunde wird eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt.

Da braucht niemand sagen, das sind tragische Einzelfälle. Diese Gewalt hat System! Und es heißt Patriarchat. Und im Kampf gegen das Patriarchat brauchen wir uns nicht an eine Regierung wenden, die nicht nur Gewaltverhältnisse für sich zu nutzen weiß, sondern auch alltäglich mit ihrer Politik reproduziert.

Wir müssen uns auch nicht an eine Klassenjustiz wenden, die uns nicht helfen wird. Im Gegenteil, die hauptsächlich weiße, männliche herrschende Klasse ist für die Morde an Frauen mit ihrer sexistischen Politik und der Straflosigkeit der Täter mitverantwortlich.

Femizid ist der extremste Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Geschlechterverhältnisse und männlichen Dominanzstrebens. Er ist ein Symptom des Kapitalismus. Eines Systems, das dazu führt, dass Frauen auf allen Ebenen abgewertet und deswegen zu Objekten von Hass werden.

Frauen sind vor allem dann Gewalt ausgesetzt, wenn traditionelle Geschlechterarrangements angegriffen werden, die männliche Position infrage gestellt wird und der Mann glaubt, deswegen seine überlegende Stellung verteidigen zu müssen. Wenn Frauen sich von ihrem Partner lossagen wollen. Wenn sie berulich aufsteigen oder der Partner arbeitslos wird. Und deswegen ist es auch nicht überraschend, dass Femizide zunehmen. Denn unsere wachsende Unabhängigkeit führt dazu, dass einige Männer mit tödlicher Gewalt reagieren.

Dem patriarchalen Selbstverständnis passt es nicht, dass wir widerständig und rebellisch sind. Schließlich baut es auf die strukturelle Abwertung des weiblichen Körpers und der Arbeit von Frauen. Es gründet sich auf die Vorstellung eines quasi natürlichen Anspruches auf Autorität und der freien Verfügung über den weiblichen Körper.

In unserer Gesellschaft können Männer ihr Ego gewaltsam wieder aufrichten, wenn sie von ökonomischen Krisen betroffen sind oder sie Angst vor sozialem Abstieg haben. Unsere Körper sind ihr Austragungsort sozialer Konflikte. Und die sind im kapitalistischen Alltag zuhauf. Während der Leistungs- und Konkurrenzdruck steigt, werden soziale Sicherungssysteme abgebaut, die Mieten höher und die Wohnungen kleiner. Die Pandemie hat diese Situation verschärft. Und daher ist es nicht überraschend, dass die Gewalt an Frauen und Kindern im Haushalt zugenommen hat.

Eine Gesellschaft, die nicht konsequent gegen Gewalt an Frauen vorgeht, betroffene Frauen wirksam schützt und ihnen Fluchträume bietet, nimmt deren Tötung billigend in Kauf. Das zeigt sich in Deutschland in der Rechtsprechung und in der Medienberichterstattung.

In einigen lateinamerikanischen Ländern wird Femizid mittlerweile als eigener Straftatbestand gewertet. Dies ist vor allem auf die Kämpfe unserer Schwestern in den lateinamerikanischen Ländern zurückzuführen. Hierzulande wird der Mord an der Partnerin noch immer häufg als Totschlag gewertet. „Denn der Täter hat ja aus Verzweiflung gehandelt“. Schließlich hat sie gedroht, ihn zu verlassen oder betrogen. Damit wird den Opfern eine Mitschuld zugesprochen!

Wee viele Frauenmorde braucht es noch, bis aufgehört wird, sie als Einzelfälle zu behandeln?

Was wir brauchen, ist allgemeines Bewusstsein von den strukturellen, patriarchalen Bedingungen, aus denen solche Taten entstehen. Unsere Aufgabe ist es also, die Bekämpfung von Femiziden auch hierzulande endlich auf die gesellschaftliche Agenda zu setzen.

In der Medienberichterstattung sieht es in Sachen Fortschrittlichkeit nicht besser aus als in den Behörden. „Familientragödie“, „Eifersuchtsdrama“, „Beziehungstat“, „Ehestreit“ heißt es hier, wenn eine Frau von ihrem (Ex-) partner ermordet wird. Diese Einordnung von Femiziden als voneinander isolierten Taten ist fatal. So wird auch hier wieder der Eindruck erweckt, die Frauen tragen eine Mitschuld. Schließlich hätten sie ja ihren Mann eifersüchtig gemacht oder sich mit ihm gestritten. Zum anderen suggeriert man, es handle sich um außergewöhnliche Schicksalsschläge, Einzelfälle. Und die sind tragisch und erschütternd, aber eine rationale oder gar systematisch strukturelle Erklärung dafür gibt es nicht…

Stattdessen wird die Tat, nämlich die Tötung, überhaupt nicht erst benannt und die politische Dimension von Femizid verschleiert.

Es handelt sich weder um das traurige Resultat privater Konflikte noch um den privaten Raum, wo Einmischung nichts verloren hat. Im privaten Raum, im Haushalt, da spielt sich die überwiegende Mehrheit der Gewalt an an Frauen ab. Und genau deshalb ist das Private eben immer noch politisch! Es trift eine, aber gemeint sind wir alle!

Von struktureller Gewalt gegen Frauen wird in der Medienberichterstattung nur dann gesprochen, wenn diese von einer vermeintlich fremden Kultur gebracht wird. Femizid wird so durch Rassismus instrumentalisiert. So gab es 2017 einen enormen Aufschrei, als die Tagesschau den Mord an einem 15jährigen Mädchen durch ihren afghanischen Exfreund als Beziehungstat titulierte, während diese Beschreibung bei Taten ausgeübt durch herkunftsdeutsche Männer Standard ist.

Euer Versuch, sich reinzuwaschen, zieht nicht mehr!

Lasst uns heute mit dieser Demo einen Beitrag dazu leisten, deutlich zu machen, dass egal welche Herkunft der Täter hat, egal von welcher Bevölkerungsgruppe wir sprechen, es sich um strukturelle patriarchale Gewalt, um kulturübergreifenden Frauenhass handelt.

Wir werden ermordet, weil wir einen eigenen Willen haben, weil wir frei und unabhängig sind und dafür einstehen.

Wir können uns in unserem Kampf nicht auf die Regierung, nicht auf die Justiz und auch nicht auf die Medienhäuser verlassen. Daher braucht es eine feministische Bewegung, die Feminizid auf die Agenda setzt, die aufklärt, sichtbar macht. Weltweit werden Frauen von patriarchalen Verhältnissen bedroht und angegriffen. Weltweit müssen wir uns verteidigen!

Wir sind heute besonders solidarisch mit der kurdischen Frauenbewegung, die mit 100 reasons eine Kampagne gegen die feminizidale Politik Erdogans gestartet hat. Jedes Mal, wenn eine unserer Freundinnen angegriffen wird, müssen wir aufschreien! Keine wird vergessen!

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