Jede Pflegekraft leistet mehr als alle Investmentbanker zusammen

Die Parole „Jede Pflegekraft leistet mehr als alle Investmentbanker zusammen“ mag auf den ersten Blick provokant erscheinen, doch bei näherer Betrachtung offenbart sich darin eine tiefgreifende Wahrheit über den Wert menschlicher Arbeit und die Schieflage in unserer gesellschaftlichen Wertschätzung verschiedener Berufsgruppen.

Pflegekräfte bilden das Rückgrat unseres Gesundheitssystems. Tag für Tag, rund um die Uhr, kümmern sie sich um die Schwächsten und Verletzlichsten in unserer Gesellschaft. Sie pflegen Kranke, unterstützen Alte und Behinderte und begleiten Menschen in ihren letzten Lebensstunden. Ihre Arbeit ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch emotional herausfordernd. Sie erfordert ein hohes Maß an Empathie, Geduld und fachlicher Kompetenz.

Betrachten wir ein konkretes Beispiel: Eine Altenpflegerin in Deutschland verdient im Durchschnitt etwa 2.800 Euro brutto im Monat. Für dieses Gehalt arbeitet sie im Schichtdienst, auch an Wochenenden und Feiertagen. Sie wäscht und kleidet Patient:innen, verabreicht Medikamente, wechselt Verbände, dokumentiert Vitalwerte und bietet emotionale Unterstützung. Ihre Arbeit ist unerlässlich für das Leben, die Würde und das Wohlbefinden der Pflegebedürftigen.

Im Gegensatz dazu verdienen Investmentbanker oft ein Vielfaches davon. Laut Gehaltsberichten können Juniorbanker in großen Investmentbanken bereits Einstiegsgehälter von 100.000 Euro oder mehr pro Jahr erzielen. Erfahrene Banker in Führungspositionen können leicht das Zehnfache oder mehr verdienen. Dazu kommen oft noch erhebliche Boni, die in guten Jahren das Grundgehalt um ein Mehrfaches übersteigen können.

Doch was „leisten“ Investmentbanker für diese enormen Summen? Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Geld zu vermehren – oft durch komplexe Finanzinstrumente und riskante Spekulationen, manchmal durch Ausnutzung von Steuerschlupflöchern, also legalem Betrug.

Die globale Finanzkrise von 2008 ist ein prägnantes Beispiel für das Agieren des Investmentbanking-Sektors. Durch profitable Spekulationen mit Subprime-Hypotheken und undurchsichtigen Derivaten wurde eine weltweite Wirtschaftskrise ausgelöst, die Millionen von Menschen ihre Ersparnisse, ihre Arbeitsplätze und in vielen Fällen ihre Häuser kostete.

Die gesellschaftlichen Kosten dieser Krise waren immens und werden auf mehrere Billionen Dollar geschätzt – die von den Lohnabhängigen aufgebracht werden mussten. Trotz dieser katastrophalen Folgen wurden viele der verantwortlichen Bankern nicht zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Viele Banken wurden mit Steuergeldern gerettet, während ihre Manager weiterhin Millionenboni kassierten. Ein besonders eklatantes Beispiel ist der Fall der Lehman Brothers, deren Zusammenbruch die Krise auslöste. Der ehemalige CEO Richard Fuld erhielt in den Jahren vor dem Kollaps der Bank Vergütungen in Höhe von fast einer halben Milliarde Dollar.

Vergleichen wir dies mit der Leistung einer Pflegekraft während der COVID-19-Pandemie. Pflegekräfte standen an vorderster Front im Kampf gegen das Virus, oft unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit und mit unzureichender Schutzausrüstung. Sie arbeiteten bis zur Erschöpfung, um Leben zu retten und Leid zu lindern. Ihr Beitrag zur Bewältigung dieser globalen Krise war unermesslich und buchstäblich lebensrettend. Dennoch blieben ihre Gehälter weit hinter denen der Investmentbanker zurück.
In Deutschland und in vielen anderen Ländern kämpfen Pflegekräfte und ihre Gewerkschaften immer noch um angemessene Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Die Pandemie hat die chronische Unterbesetzung und Überlastung im Pflegesektor schonungslos offengelegt. Die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Berufe und ihrer finanziellen Vergütung wirft grundlegende Fragen über unsere Wertvorstellungen auf.

Wie kann es sein, dass diejenigen, die direkt zum Wohl und zur Gesundheit der Menschen beitragen, so viel weniger verdienen als jene, die mit abstrakten Finanzprodukten jonglieren? Die Parole „Jede Pflegekraft leistet mehr als alle Investmentbanker zusammen“ ist daher als Aufruf zu verstehen, unsere Wertschätzung für verschiedene Arten von Arbeit zu verändern. Sie fordert uns auf, den wahren Wert der Pflege und anderer Berufe anzuerkennen – nicht nur durch Applaus und warme Worte, sondern durch konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung.

Die Logik des Kapitalismus diktiert, dass die Arbeit, die keinen direkten Profit generiert, geringgeschätzt wird – selbst wenn sie für das Überleben und die Stabilität der Gesellschaft essenziell ist. Die Arbeit von Pflegekräften, Erzieher:innen und Pädagog:innen ist nicht nur heute unverzichtbar, sondern auch für die Zukunft unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Sie leisten täglich harte Arbeit und tragen zugleich dazu bei, neue Fachkräfte auszubilden, die im Sinne des Gemeinwohls handeln. Ihre Arbeit ist also in zweifacher Hinsicht wertvoll: sowohl im Hier und Jetzt als auch für die Zukunft.

Eine Gesellschaft, die ihre Pflegekräfte angemessen wertschätzt und entlohnt, investiert daher direkt in das Wohlergehen der Menschen. Es ist an der Zeit, unsere Prioritäten neu zu ordnen und ein Wirtschaftssystem zu schaffen, das den wahren Wert menschlicher Arbeit anerkennt. Ein System, in dem diejenigen Menschen, die zum Gemeinwohl beitragen, angemessen entlohnt und respektiert werden. Was wir aus den Erfolgen und Niederlagen der bisherigen sozialistischen Staaten lernen können, wird zu prüfen sein. Klar ist: Der Kapitalismus und seine Profitlogik müssen überwunden werden.

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